Die Naturwissenschaften kennen zwei verschiedene Betrachtungsweisen:
Die fragmentarische Sichtweise sieht die Welt als eine Ansammlung unabhängiger Einzelobjekte. Sie wird durch die Leitidee des Uhrwerks bestimmt (mechanistisches Paradigma).
Die holistische Sichtweise betrachtet die Welt als unteilbare Ganzheit mit interner Struktur. Sie wird von der Leitidee des Organismus geführt (organizistisches Paradigma).
Traditionell beschrieb die Physik die Welt immer fragmentarisch in Begriffen von Teilchen und auf sie einwirkenden Kräften, während die Biologie und die Chemie mehr in ganzheitlichen Begriffen wie Gestalt, Funktion und Zweck denken. Obwohl die beiden Betrachtungsweisen in der praktischen wissenschaft-lichen Arbeit nebeneinander angewendet wurden, standen sie sich als mechanistisch-reduktionistische und holistisch-organizistische Weltanschauung konkurrierend gegenüber.
Die mechanistische Weltanschauung nimmt für sich in Anspruch, alles in Begriffen von Teilchen und Kräften erklären zu können. Ein Naturvorgang sei erst dann völlig verstanden, wenn man sich ein mechanisches Bild davon machen könne. Im Prinzip funktioniere die ganze Welt wie ein mechanisches Uhrwerk.
Demgegenüber behauptet die organizistische Weltauffassung, daß die Reduktion eines Naturereignisses auf mechanisch beschreibbare Vorgänge einen unersetzlichen Verlust von Information zur Folge habe, was eine erhebliche Einengung des Wirklichkeitsverständnisses bedeute. Eine Ganzheit lasse sich grundsätzlich nicht aus den Konstituenten verstehen; das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
In den 20er Jahren wurde durch eine Revolution in der Physik, der Hochburg des mechanistischen Weltbildes, eine Brücke zwischen beiden Betrachtungsweisen geschlagen: In der Physik entstand mit der Quantenmechanik ein Forschungsbereich, in dem die Experimente nicht mehr mit klassischen, mechanischen Vorstellungen erklärt oder beschrieben werden konnten (obwohl diese Theorie immer noch Quanten-Mechanik genannt wurde). Die klassisch-mechanische Interpretation einiger Experimente, wie z.B. der Fraunhoferbeugung am Doppelspalt (1), waren so widersprüchlich, daß selbst ein Forscher wie Einstein sagte, er könne nicht glauben, daß die Natur so absurd sei. Um diesen Widersprüchen aus dem Weg zu gehen, wendete man sich von der Vorstellung ab, alle Phänomene als Verhalten von isolierten Teilchen bzw. Fragmenten beschreiben zu können, und einigte sich darauf, daß bestimmte Phänomene nur als Verhalten von Gruppen von Teilchen (sog. Ensembles) beschrieben werden können. In der modernen allgemeinen Quantentheorie hat man dann den Schritt zum Holismus ganz vollzogen, in der Beschreibung von H. Primas (Zürich):
"Ein quantentheoretisches Objekt ist zunächst eine unteilbare Einheit; es ist nicht zulässig, sich das Gesamtobjekt als aus Teilobjekten zusammengesetzt zu denken (...) Das einzige im Sinne
der Quantenmechanik absolut existierende Objekt ist das ganze Universum, eine einzige und unteilbare Einheit." (2)
Diese ganzheitliche Sichtweise wurde zunächst auf den subatomaren Bereich beschränkt - im makroskopischen Bereich behielt man die fragmentarische Sichtweise bei, um den Anschluß an die klassischen Theorien zu gewährleisten (Ehrenfestsches Theorem) (3).
Die Doppelnatur der objektiven Welt
Mittlerweile beginnt sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass die holistische und die fragmentarische Betrachtungsweise nebeneinander existieren, wobei die holistische die grundlegendere, umfassende ist und die fragmentarische über eine sog. Objektfaktorisierung daraus abgeleitet werden kann. Je nach Randbedingung reagiert die Natur auf die eine oder andere Weise, einmal fragmentarisch und einmal holistisch. Beide Realitäten existieren nebeneinander (besser übereinander) und sind jeweils durch eigene Gesetzmäßigkeiten gekennzeichnet:
So haben z. B. manche elektrische Leiter je nach Temperatur zwei völlig unterschiedliche Verhaltensmuster: bei Zimmertemperatur sind sie normale elektrische Leiter mit einem charakteristischen elektrischen Widerstand (fragmentarischer Modus); bei sehr tiefen Temperaturen gehen sie unvermittelt in einen sogenannten supraleitenden Zustand über, d.h. elektrische Ströme werden auf einmal über große Entfernungen verlustfrei geleitet (holistischer Modus). Dasselbe Material reagiert einmal als normaler elektrischer Leiter (fragmentarisch) und einmal als Supraleiter (holistisch). Hier ist die Temperatur der Parameter, der die vertikale Tiefe bestimmt: bei Raumtemperatur ergibt sich das fragmentarische Verhalten, bei tiefen Temperaturen (wenige Grade über dem Nullpunkt der Temperatur) wechselt der Leiter in das holistische Verhalten der Tiefendimension).
Es gibt ein ganzes Feld von Phänomenen, wo beide "Modi" sogar nebeneinander existieren. Ein Beispiel dafür ist das Verhalten von Substanzen, die in mehreren Phasen (Aggregatzuständen) (4) existieren können. Innerhalb einer Phase haben wir additives, fragmentarisches Verhalten, an Phasengrenzen übersummenhaftes, holistisches Verhalten:
In einem Glas Wasser schwimmen Eiswürfel. Das Verhalten von Wasser und Eis ist allen vertraut, z.B. sind Wasser und Eis schlechte Wärmeleiter. Aber die Phasengrenze zwischen beiden, eine Haut von vielleicht 10 Molekülen Dicke, leitet Wärme ähnlich gut wie Kupfer - die Phasengrenzschicht ist eine hoch geordnete Schicht mit holistischem Verhalten. (Weitergehendes über das Phasengrenzverhalten siehe hier)
Das außergewöhnliche Verhalten der Phasengrenzschicht Fest/Flüssig wird heute in den sogenannten Flüssigkristallen (5) in vielfältiger Weise technisch genutzt. Ähnliches gilt für den Übergang zwischen Leiter und Nichtleiter im Halbleiter (6). Dabei finden wir an der Phasengrenze das Verhalten der zugrundeliegenden Tiefendimension, während die Phasen den Gesetzen der Oberflächendimension folgen.
Das Besondere an lebenden Objekten als den bevorzugten Forschungsobjekten des Organizismus, scheint nun zu sein, daß beide Verhaltensweisen der Natur auch integriert und verschränkt existieren können:
Transportwege wie Blut- und Atemkreislauf, Informationssysteme wie das Nerven- und das Hormonsystem und nicht zuletzt das Skelett zeigen offensichtlich fragmentarischen Charakter. Dagegen haben die Regeneration, Reproduktion und andere nur bei lebenden Systemen zu findende Verhaltensweisen offenbar ganzheitlichen Charakter, wie überhaupt rückgekoppelte selbstorganisierte Systeme einen neuen Denkansatz verlangen und nicht mehr fragmentarisch als Input-Qutput-Systeme verstanden werden können: ein mechanisches Uhrwerk kann sich nicht selber reparieren, regenerieren oder reproduzieren.
Es ist diese integrierte Funktionsweise des Körpers, die sowohl zu den überzeugenden Heilerfolgen der mechanistisch orientierten Schulmedizin als auch der holistisch orientierten Alternativmedizin (mit Iris-Diagnostik, Ohr-Akupunktur, Fuß-Reflexzonenmassage usw.) führt.
Die Doppelnatur des Bewusstseins
Interessanterweise hat sich in der Bewusstseinsforschung herausgestellt, daß auch das menschliche Bewusstsein diese zwei Realitäten kennt. Aus dem Blickwinkel des "Ich", dem individuellen Pol des menschlichen Bewusstseins, nehmen wir die Welt als getrennt von uns wahr, als fragmentiert in eine Ansammlung von unendlich vielen isolierten Objekten; aus dem Blickwinkel des "SELBST", dem kollektiven Pol des menschlichen Bewusstseins, erfahren wir die Welt als eine große Ganzheit, untrennbar mit uns verbunden.
In direkter Analogie zu den Phasengrenzen der Stoffe gibt es ein "Phasengrenzbewusstsein", einen Zustand an der Grenze der drei Hauptbewusstseinszustände (Bewusstseinsphasen) Wachen (W), Träumen (REM) und Tiefschlaf (D) (7), durch das jedem Menschen der Zugang zum transpersonalen, kollektiven Pol seines Wesens (der Tiefendimension seiner Existenz) offensteht.
Seit Jahrtausenden wird in den Kulturen des Ostens von diesem Grenzbewusstsein (turya cetana) berichtet. Jeder Mensch durchläuft täglich dieses Grenzbewusstsein, z.B. wenn er einschläft. Es gibt aber nur wenige, die das Glück hatten, den Einschlafvorgang bewusst wahrzunehmen. Es ist ein charakteristisches Gefühl des Fallens, Sinkens, die Dominanz des ichbewussten Denkens löst sich auf und mit dem Erreichen der Phasengrenze zwischen Wachen und Schlafen kommen plötzlich Lichterfahrungen, Erfahrungen eines All-Bewusstseins, ein Gefühl der Glückseligkeit, der inneren Verbundenheit, der Einheit mit allen Dingen. Dieses Erlebnis ist oft mit einer tiefen religiösen Urerfahrung verbunden, es hat etwas ursprünglich Heiliges an sich. Wer dieses Überschreiten des eigenen Ichs zum SELBST einmal bewusst erlebt hat, wird das tiefe Gefühl von Befreiung in diesem Erlebnis kaum wieder vergessen.
Die Suche nach einem umfassenden Weltbild
Es gehört zu den großen Herausforderungen der heutigen Wissenschaft, eine Brücke zwischen diesen beiden Paradigmen aufzubauen. Beide Paradigmen haben als Leitideen ihre Berechtigung, beide sind als Erklärungsmodelle unverzichtbar - damit ist aber jedes für sich als alleiniges Weltbild, also als Erklärungsmodell mit Universalanspruch disqualifiziert. Fragmentarische und holistische Verhaltens- und Betrachtensweisen sind verschiedene Aspekte ein und derselben Wirklichkeit. Aber für diese eine zweifältige Wirklichkeit selber fehlt ein modernes Bild.
Wir brauchen ein Weltbild, das mit der modernen Wissenschaft verträglich ist. Was für Anforderungen muss dieses Weltbild erfüllen, um mit den durch die schnelle technisch-wissenschaftliche Entwicklung gewonnenen Erkenntnissen in Einklang zu sein? Um ein entsprechendes 'Anforderungsprofil' zu finden, wollen wir einige dieser neuen Erkenntnisse etwas genauer betrachten.
Naturphilosophische Konsequenzen
Die Wahrheit ist relativ
Wahrheit ist relativ, aber nicht beliebig, im Sinne von Niels Bohr : „Eine große Wahrheit ist eine Wahrheit, deren Gegenteil auch eine große Wahrheit ist.“ (8)
Wie wir heute wissen, kann die Realität nicht durch eine einzige geschlossene Theorie beschrieben werden. Die Eigenschaften der Welt hängen von der Sichtweise des Beobachters ab.
"Die Frage nach der Natur der Außenwelt muss ersetzt werden durch die Frage: unter welchen Bedingungen kann von der Existenz realer Dinge gesprochen werden, und welche Eigenschaften sind unter diesen Bedingungen potentiell möglich?
Die Realität ist [nur] insofern objektiv, als sie immer dann eindeutig bestimmt ist, wenn wir uns für eine bestimmte Optik [Sichtweise] entschieden haben." (H. Primas) (9)
Die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung kann mit dem Versuch verglichen werden, einen räumlichen Körper auf ein flaches Papier zu bannen - mit anderen Worten: einen dreidimensionalen Körper auf eine zweidimensionale Fläche zu projizieren. Bei diesem Vorgang gehen zwangsläufig Informationen verloren, ja es kann sogar passieren, daß sich zwei solcher Projektionen scheinbar widersprechen! Beispielsweise ergibt die Projektion eines Zylinders von oben einen Kreis, von der Seite aber ein Rechteck. Ohne die Idee der dritten Dimension ist es nicht verständlich, dass Kreis und Rechteck in diesem Fall dasselbe Objekt beschreiben. Kreis und Rechteck sind hier verschiedene Aspekte derselben Wirklichkeit des Zylinders.
Das Baumaterial der Welt ist geistig
Durch die Kernspaltung ist heute allgemein bekannt, daß die Atome (von grch. 'atomos', "unteilbar") nicht unteilbar sind. Da aber bei der Kernreaktion nach Einsteins berühmter Formel
E = m * c2
Materie in Energie umgewandelt wird, folgt darüber hinaus, daß es prinzipiell keine "letzten", unteilbaren Bausteine der Materie geben kann. Die "letztendliche Realität" kann also keine irgendwie geartete Substanz sein. Die unwandelbare Grundlage des Universums muß tiefer liegen als die Realität der Teilchen und Energien.
Heute werden Materie und Energie als 'Anregungszustände' von zugrundeliegenden, unendlich ausgedehnten Feldern beschrieben. "Felder" sind von Maxwell ursprünglich als mathematische Hilfsgrößen eingeführt worden, um elektromagnetische Wirkungen zu beschreiben, die letztlich doch wieder auf mechanische Kräfte zurückführbar sein sollten - nämlich auf mechanische Spannungen eines "Weltäthers".
Seit der allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins betrachtet man die Felder selber als physikalische Realität. In letzter Konsequenz liegt nach diesen Konzepten, den sog. einheitlichen Feldtheorien, dem gesamten Universum ein Urfeld zugrunde, das selber unendlich ausgedehnt und unmanifest ist, in dem die Schöpfung als reine Potentialität vorgebildet ist.
Sir Arthur Eddington, einer der bedeutendsten Physiker des 20. Jahrhunderts, der Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie durch seine experimentelle Bestätigung zum Durchbruch verholfen hat (Beobachtung der Beugung von Licht am Schwerefeld der Sonne während der Sonnenfinsternis 1919), folgerte seinerseits:
"Um unsere Schlussfolgerungen drastisch zu formulieren - das Baumaterial der Welt ist geistiges Material ... dieses geistige Material der Welt ist selbstverständlich etwas allgemeineres als unser individuelles Bewusstsein."
Selbstreferenz als kreatives Prinzip
Bei der Beschreibung von Teilchen als Anregungen zugrundeliegender Felder faßt man die 'Teilchen' nicht mehr als etwas Statisches auf, sondern als ein dynamisches Muster des zugrundeliegenden Feldes: das Feld bezieht sich in einer spezifischen Weise auf sich selbst, erreicht dadurch ein bestimmtes 'Anregungsniveau', das dann auf der makroskopischen Ebene als Teilchen beschrieben werden kann. Das Teilchen wird dabei letztlich über den Selbstbezug des Feldes definiert.
Dieses Prinzip der „Musterbildung durch Selbstreferenz“ zieht sich heute durch alle Disziplinen. Als Beispiel sei auf die experimentelle Mathematik mit ihren auf Rekursion (mathematischer Selbstbezug) aufbauenden 'Fraktalen Bildern', auf die Chaos-Theorie, auf die Theorie dissipativer Strukturen und allgemein auf die Theorie selbstorganisierender Systeme hingewiesen.
Nach dem heutigen naturwissenschaftlichen Weltbild liegt dem Universum ein abstraktes Urfeld, ein absolutes Vakuum bzw. Nicht zugrunde, das zu innerer Selbstwechselwirkung fähig ist. Die dadurch entstehenden virtuellen Muster in dieser zugrundeliegenden Realität werden im Schöpfungsprozess aktualisiert und damit manifestiert.
Der zur Musterbildung führende Selbstrückbezug des Seins wird als das Urprinzip des kreativen Prozesses gesehen:
"Indem ich mich auf meine eigene Natur zurückbeziehe, schaffe ich wiede und wieder." (10)
Die Einheit von Natur und Bewußtsein
Natur und Bewusstsein haben nach heutigen Vorstellungen einen gemeinsamen Ursprung im "Sein-an-sich", aus dem die beiden Bereiche in selbstähnlicher Selbstentfaltung entstanden gedacht werden. Das führt zu einer Homologie der Gesetze der 'äußeren' und der 'inneren' Welt, einer Homologie zwischen den Gesetzen der 'Natur' und denen des menschlichen 'Bewusstseins'. Dabei hat sich die westliche Wissenschaft vor allem der Beschreibung der 'Naturgesetze', die östliche Philosophie der Beschreibung der 'Bewusstseinsgesetze' zugewandt.
Resümee
Es gibt keine "letzte Wahrheit" (8). Jede Erkenntnis hängt von der Sichtweise des Erkennenden ab und ist damit relativ - aber nicht beliebig. Die primäre Realität ist nicht 'teilchenartig', nicht 'substanzhaft', sondern ein bloßes Sein, das aus sich heraus über die innere Dynamik seiner Selbstreferenz das Universum formt. Selbstreferenz ist ein geistiges Prinzip: das Sein weiß von sich selbst und ist damit ein Bewußt-Sein, welches grundlegender ist, als das individuelle Bewußtsein, aber diesem ebenso zugrundeliegt.
Erinnert das nicht sehr an philosophische Konzepte, welche die manifeste Realität, das 'Seiende' und das 'Werden' aus einem abstrakten 'Sein an sich' durch bloßen Selbstbezug entstanden denken? Zeigt sich hier nicht eine Brücke, die Natur- und Geisteswissenschaften versöhnen kann?
"Wenn die einzelnen Disziplinen zunächst und zumeist auch in getrennten Bereichen operieren, wird beim Ergründen ihrer eigenen Tiefendimensionen eine ursprüngliche Einheit offenbar. Kommt das
Wissen in die Nähe des Ganzen, ist ein Konvergieren in einzigartiger Weise festzustellen. In den tiefsten Einsichten der Wissenschaften werden heute zunehmend verblüffende Überschneidungen
entdeckt". (11)
Dies wäre auch eine Brücke, die bis zu dem mystisch-spirituellen Urwissen hinführt, welches die letzte 'innere' Realität und die letzte 'äußere' Realität gleichsetzt - ein Urwissen, das seine Wurzeln sowohl in der östlichen als auch in der westlichen Geistestradition hat. Dieses Urwissen basiert auf subjektbezogener Erkenntnisgewinnung und schließt einen Reifungsprozeß des Erkennenden als Notwendigkeit mit ein.
Das führt uns zu einer historischen Chance: mit der Öffnung des westlichen Weltbildes für das zeitlose Urwissen ergibt sich die Möglichkeit, auf der Basis der im Abendland entwickelten Tradition der Reflexion und Selbstvergewisserung ein neues interkulturelles Weltbild zu entwickeln, welches das fragmentarische Denken überwindet und zu einer fundamentalen Aussöhnung unserer Kultur mit der Natur führt.
Die vier Sprachen zur Beschreibung der Doppelnatur der Wirklichkeit.
Die fragmentarische und die ihr zugrundeliegende holistische Erfahrungswelt sind scheinbar getrennte Wirklichkeiten, aber sowohl in der subjektiven Realität wie auch in der objektiven Realität getrennt erfahrbar. Wie muss ein Weltbild aufgebaut sein, daß die Tiefendimension im subjektiven wie objektiven Bereich einschließt?
Unterstellt man den beiden Ebenen der inneren Natur Erkenntnisfähigkeit, so ergeben sich daraus vier grund-sätzlich verschiedene Beschreibungen der Realität (12):
[1] das klassische Ich-Bewußtsein beschreibt die klassische Welt der Objekte
[2] das klassische Ich-Bewußtsein beschreibt die quantenmechanische holistische Welt
[3] das transpersonale SELBST-Bewusstsein beschreibt die klassische Welt der Objekte
[4] das transpersonale SELBST-Bewusstsein beschreibt die quantenmechanische holistische Welt
Platon's Höhlengleichnis
Diese Betrachtung möglicher unterschiedlicher Beschreibungen der Realität ist nicht neu, sondern wurde im europäischen Kulturkreis bereits vor 2.400 Jahren von Plato in seinem berühmten Höhlengleichnis diskutiert. (der Wortlaut des Höhlengleichnisses findet sich hier).
In diesem Gleichnis werden zwei miteinander koexistierende Realitäten beschrieben:
- Es gibt eine zugrunde liegende Realität – in Platons Gleichnis ist es die Außenwelt des Handelswegs.
- Es gibt eine oberflächliche Erfahrungswelt, die auf der Basis der zugrundeliegenden Realität existiert, in Platons Gleichnis ist dies die Schattenwelt in der Höhle.
Aus dieser Situation ergeben es nun vier verschiedene Blickwinkel, die Welt zu sehen, bzw. Sprachen, diese zu beschreiben:
[1] Der Blickwinkel der Höhlenbewohner, die nur die Welt der Schatten kennen und eine eigene Sprache zur konsistenten Beschreibung dieser Realität entwickelt haben.
[2] Der Blickwinkel der Höhlenbewohner, die aufgrund eines glücklichen Umstandes die Höhle verlassen und sich mit den Begriffen des Höhlenlebens die lichtdurchflutete Welt des Handelsweges zu erklären versuchen.
[3] Der Blickwinkel der Passanten von draußen, die in die Höhle hineinschauen und das Schattenspiel in ihrer Denkweise, die durch die reale Außenwelt des Handelswegs geprägt ist, beschreiben. Auch der Blickwinkel der Höhlenbewohner, die nach einem Ausflug aus der Höhle in diese zurückkehren, und, geprägt durch die neuen Erfahrungen auf dem Handelsweg, den Höhlenbewohnern die Welt des Handelsweges zu beschreiben versuchen.
[4] Der Blickwinkel der Menschen auf dem Handelsweg, die ihre Realität unabhängig von der Existenz der Höhle beschreiben.
Versucht man diesen Formalismus als Ordnungkonzept für konkurrierende hierarchisch angeordnete Weltbilder einzusetzen, so ergeben sich überraschende Einsichten. Insbesondere wird deutlich, daß aufgrund der Doppelnatur von objektiver und subjektiver Realität zur vollständigen Beschreibung ein konsistenter Blickwinkel nicht ausreicht. Es sind mehrere, mindestens vier, sich teilweise widersprechende Erklärungsmodelle notwendig, will man die gesamte Bandbreite möglicher Einsichten erfassen.
Es ist eine interessante Übung, nach diesem Ordnungskonzept einmal eine Zuordnung verschiedener Medizinsysteme zu versuchen. Auch für verschiedene Welterklärungsmodelle, seien es rationale, religiöse und spirituelle, lassen sich derartige Ordnungsschemata aufbauen.
Ausklang
Unsere Welt lässt sich auf zwei Ebenen sehen, einer äußeren "Oberflächen"-Realität, und einer zugrundeliegenden Quantenrealität. Die klassische Oberflächen-Realität wird durch die mechanistische Sicht des 19. Jahrhunderts repräsentiert und im Subjektiven durch die rationale Denkweise des Ich-Bewusstseins. Die zugrundeliegende holistische Quantenwelt wird im subjektiven Bereich repräsentiert durch das SELBST bzw. die transpersonale Realität an der Basis unseres Bewusstseins und in der sog. objektiven Welt durch die holistische Sicht der Quantenrealität, die zuerst nur ein Konzept war und heute in vielen neuen technischen Anwendungen unsere Lebenswelt transformiert. Dabei ist die fragmentarische Welt, in Platon's Höhlengleichnis die Welt der Schatten, eine endliche, in sich geschlossene Sichtweise, die scheinbar zur vollständigen Beschreibung unsere Lebenswirklichkeit ausreicht und als weltanschaulicher Wächter darüber wacht, dass niemand den Denkrahmen verlässt.
Dank der heutigen stürmischen technologischen Entwicklung scheint (im übertragenen Sinne) mehr und mehr die Sonne in Platon's Höhle. Mehr und mehr Menschen beginnen, die Höhle zu verlassen und erstaunt die Welt des Unendlichen der zugrundeliegenden Tiefendimension der Quantenrealität wahrzunehmen.
Literaturverzeichnis:
(01) z.B. die Frauenhofer Beugung am Doppelspalt
(02) Hans Primas und Werner Gans: "Quantenmechanik, Biologie und Theoriereduktion" in "Materie, Leben, Geist", Hrsg. Bernulf Kanitscheider.
(03) Diese Verfahrensweise ist eine Forderung an die Quantentheorie, die den klassischen Anschluss gewährleistet (Ehrenfestsches Theorem)
(04) fest, flüssig, gasförmig
(05) z.B. LCD-Anzeige von Digitaluhren, u.v.a.m.
(06) z.B. Transistoren in Taschenrechnern, Musik-Anlagen usw., Intergrierte Schaltkreise (IC's) in Computern, Video-Kameras usw. u.v.a.m.
(07) R. K. Wallace: A wakeful hypometabolic physiologic state. Amer. Journal of Physiology 221/3 (1971)
(08) St. Rozental, ed., Niels Bohr: His Life and Work As Seen by His Friends and Colleagues, John Wiley & Sons, 1964.
One of the favorite maxims of my father was the distinction between the two sorts of truths, profound truths recognized by the fact that the opposite is also a profound truth, in contrast to trivialities where opposites are obviously absurd."
(09) H. Primas, W. Gans: "Quantenmechanik, Biologie und Theoriereduktion" in Materie, Leben, Geist, Hrsg. Bernulf Kanitscheider
(10) Bhagavad Gita 9,8
(11) E. Wolz-Gottwald: Heilung aus der Ganzheit - Ayurveda als Philosophie in der Praxis. Gladenbach 1991, S. 200
(12) In diesem Sprachenmodell werden die drei zusätzlich möglichen Blickwinkel, die sich mit der Formalisierung der Wechselwirkung der fragmentarischen Welt der Objekte und der zugrundeliegenden Qanten-Realität befassen, zur Vereinfachung außer Acht gelassen
Autor:
Prof. Dr. Hartmut Schenkluhn, Allmannshofen
ehem. Senior Research Prof., MIU, IOWA (USA)
Quelle:
überarbeitete Version von: H. Schenkluhn: Die Doppelnatur der Welt. in H.Schenkluhn, B. Voigt (Eds.) Die Kunst der Innovation 2002, Plattform "Vorstellung und Wirklichkeit" S. 18 - 23, Leistungszentren Training, BMW Group (München)
ursprüngliche Version: H. Schenkluhn, A. Valentin: Ansätze zu einem neuen Weltbild. Vedisches Bildungswerk Hannover WS 93/94, S. 40 - 52