Das Vordringen moderner Kommunikations-technologien mit ihren virtuellen Welten und Inter-Netzen führt uns immer stärker vor Augen, dass unsere Sicht der Dinge bzw. Interpretation der Lebenswelt subjektiver Natur ist und einem permanenten komplexen Anpassungsprozess unterliegt, bis sie sich widerspruchsfrei dem allgemeinen Konsens der Gesellschaft, der sog. objektiven Realität, angenähert hat.
Wie entsteht unsere Weltsicht, - , das, was unser Denken und Handeln bestimmt? Im Laufe unseres Lebens sammeln wir mehr und mehr Vorstellungen, Erlebnisse, Gedankenformen, die als Bausteine unsere vergangenen Erfahrungen verallgemeinern, zukunftsbezogene Erwartungen wie auch Befürchtungen widerspiegeln oder als Ideen und Konzepte die Sinnhaftigkeit des Stroms unserer Erlebnisse aufrecht erhalten.
Wir leben in dem Glauben an eine objektive Realität, die entsprechend der aristotelischen Logik sinnhaft und widerspruchsfrei interpretierbar ist und damit eine Referenz für den Anpassungsprozess unserer subjektiven Lebenswelt bilden soll.
Satz der Identität | Alle verwendeten Begriffe sind eindeutig |
Satz vom ausge-schlossenen Widerspruch | Keine Aussage ist zugleich wahr und falsch |
Satz vom ausge-schlossenen Dritten | Jede Aussage ist wahr oder falsch |
Satz vom zureichenden Grund (Leibniz) | Alles hat seinen Grund, warum es so ist, wie es ist |
Die vier Gesetze der aristotelischen Logik
Doch in einer Zeit schneller Veränderung sowohl wissenschaftlich-technischer als auch sozialer Strukturen wird uns immer bewusster, daß diese viel Logikgesetze nicht ausreichen zur Interpretation unserer Lebenswelt. Damit wird der Anpassungsprozess an die sich schnell veränderte Lebenssituation gestört und wir geraten unversehens ins gesellschaftliche Abseits bzw in eine innere Sinnkrise.
Die Rolle der Vorstellungen
Welche Elemente sind es nun, die unsere Vorstellungen begrenzen können, so dass es zu einem unlösbaren Konflikt mit der Realität kommt? Da ist zuerst die Begrenztheit unserer Vorstellungen, jenes Gebäude von Bewusstseinsinhalten, die wir uns im Laufe unseres Lebens angeeignet haben und unsere Ausbildung, unsern Lebensweg und unser gesellschaftliches und kulturelles Umfeld widerspiegeln.
Ein marokkanisches Sprichwort kann uns die Rolle unserer Vorstellungen als ordnendes Gedankengebäude unserer Wirklichkeit verdeutlichen:
Du sagst, du gehest nach Fez. Wenn du aber sagst, du gehest nach Fez, so bedeutet das, dass Du nicht hingehst. Ich weiß aber, daß du nach Fez gehst. - Warum belügst du mich, deinen Freund?
Der Text ist geprägt von der „unumstößlichen“ Vorstellung, dass der Freund immer das Gegenteil von dem tut, was er sagt. So kommt es zu dieser Umwertung in der Kommunikation der Vorstellung mit der gegebenen Realität.
Besonders, wenn unsere Vorstellungswelt im Laufe des Lebens ihre Anpassungsfähigkeit verloren hat, kommt es mehr und mehr zu unlösbaren Widersprüchen und Konflikten im Versuch, die eigene Vorstellung mit der sich schnell verändernden Realität zur Deckung zu bringen.
Die Rolle des sozialen Umfelds
Wie stark wir in unserem Bemühen, unsere Vorstellung mit der Realität in Einklang zu bringen, vom sozialen Umfeld abhängig sind, hat in den 50er Jahren der Psychologe S. Asch untersucht.
In einem ersten Experiment wurden einer Gruppe von Studenten zwei Tafeln gezeigt, wobei die Länge einer in einer ersten Tafel vorgegebenen Linie mit drei auf einer zweiten Tafel dargestellten Linien verglichen werden sollte, ein einfaches Experiment, besonders, wenn die Linien sich deutlich voneinander unterscheiden.
Asch ließ nun dieses Experiment mehrfach wiederholen, wobei er alle Versuchspersonen bis auf eine instruiert hatte, ab dem dritten Durchlauf eine falsche Antwort abzugeben. Die nicht eingeweihte Person war bestürzt, dass sie plötzlich mit ihrer Meinung allein da stand und begann von Durchlauf zu Durchlauf mehr an der eigenen Wahl zu zweifeln.
Die Abbildung zeigt die in den Asch-Konformitätsexperimenten verwendeten Karten. Die Referenzkarte befindet sich auf der linke Seite. Die Karte auf der rechten Seite hat die drei Vergleichszeichen.
Interessanterweise waren knapp 40% der Personen nicht in der Lage, sich dem Gruppendruck zu widersetzen und unterwarfen sich freiwillig dem offensichtlich falschen Urteil der Gruppe.
Wie wichtig wäre es, eine Methode zu finden, um junge Menschen gegen alle Formen von Propaganda und flächendeckender Werbung zu immunisieren und ihnen damit ihre individuelle Urteilsfreiheit zu erhalten. Die zunehmende Erkenntnis, dass soziale Bezüge und systemische Gegebenheiten unsere Vorstellung auf vielfältige Weise beeinflussen, hat zu einem Umdenken über die Handlungsfreiheit des Individuums geführt.
Die Rolle individueller Faktoren
Auf die Rolle des rationalen Denkrahmens als interpretierende Instanz im Aufbau unserer Vorstellung haben wir bereits in der Einleitung hingewiesen. Hier ist es gerade das Training unterschiedlicher Denkrahmen, dass unsere Freiheit in der Konstruktion von Realitäten wesentlich erhöht. Die Entdeckung der Gesetze der Gestaltwahrnehmung in der Mitte des 20. Jahrhunderts hat hier wesentliche Vorarbeiten geleistet.
Das große Gebiet der sog. Wahrnehmungstäuschungen hat die sinnliche Komponente in der Konstruktion von Vorstellungswelten jedem zugänglich gemacht. Heute sind eine Fülle von Bildern bekannt, anhand derer der interpretierende Charakter der Sinne im inneren Aufbau unserer Vorstellung deutlich wird.
Wie weit sich Interpretation von Bildern auch zeitlich ändern, zeigt das im Internet weitverbreitete Bild von 7 Delphinen. Kinder erkennen in dem Bild 7 Delphine, während Erwachsene im ersten Eindruck überwiegend ein Liebespaar sehen.
Die innere Repräsentation, die Vor-Stellung der äußeren Realität ist ein schöpferischer Akt höchster Komplexität, in dem die äußere Realität innerlich in dem Maße nach geschöpft wird, bis dieses innere Bild widerspruchsfrei unserer äußeren Realität entspricht.
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Die Rolle von Bewusstseinsfaktoren
Ein weiterer Kontext zur Erzeugung der subjektiven Vorstellungswelt ist abhängig vom jeweiligen Bewusstseinszustand des Menschen. An der Phasengrenze zwischen den Hauptbewusstseinszuständen (Wachen und Schlafen) ist die Wahrnehmung der äußeren Realität gedämpft und eine innere Wirklichkeit jenseits der rationalen Logik übernimmt gestaltende Kraft für die Konstruktion unserer Vorstellung. Während unsere Sinne im normalen Wachbewusstsein nach außen (extrovertiert) und wir damit von außen beeinflussbar sind, sind wir jetzt nach innen orientiert (introvertiert), die äußere Realität verblasst und zurück bleibt unserer innerer Wesenskern, der mehr und mehr unsere Vorstellung ausfüllt.
Viele Künstler und Wissenschaftler wie Goethe, Schiller, Milton, Tennyson und Worthworth, Komponisten wie Brahms, Bach, Beethoven, Mozart oder Schubert, Wissenschaftlern wie Kekule, Justus Liebig, Poinkare oder Helmholtz berichten von diesem Zustand als dem Sitz ihrer Kreativität. Johannes Brahms beschrieb den Zustand in einem Interview 1896 so:
Wie schon erwähnt, befinde ich mich in einer tranceähnlichen Situation, ... – einem Schweben zwischen Schlafen und Wachen; ich bin wohl noch bei Bewusstsein, aber hart an der Grenze, das Bewusstsein zu verlieren. ....
und an anderer Stelle:
Ich muss mich in einem Zustand der Halbtrance befinden, um solche Ergebnisse zu erzielen – ein Zustand, in welchem das bewusste Denken vorübergehend herrenlos ist ... Ich muss jedoch darauf achten, dass ich das Bewusstsein nicht verliere, sonst verschwinden die Ideen.
Richard Wagner führt in einem Gespräch mit Engelbert Humperdinck aus:
...Ich habe sehr bestimmte Eindrücke in diesem tranceähnlichen Zustand, der die Voraussetzung für jede schöpferische Bemühung ist. Ich spüre, dass ich mit dieser schwingenden Kraft eins bin, dass sie allwissend ist und dass ich aus ihr in einem Ausmaß schöpfen kann, das nur von meiner eigenen Fähigkeit begrenzt ist.
Der große Naturforscher Hermann Helmholtz meint:
... Soweit meine Erfahrung reicht, kamen günstige Einfälle nie dem ermüdeten Gehirn und nicht am Schreibtisch. Oft waren sie des Morgens beim Aufwachen da, wie auch Gauß angemerkt hat: die kleinsten Mengen alkoholischer Getränke schienen sie zu verscheuchen ...
Die Berichte von Astronauten, Künstlern und Wissenschaftlern verdeutlichen,
- dass an der Basis menschlichen Bewusstseins eine unmanifeste, nach den Worten von Brahms kosmische Ebene von Kreativität und Intelligenz existiert;
- dass diese Ebene sozusagen in einem selbstbezogenen Bewusstseinszustand ,,zwischen Wachen und Schlafen" angesiedelt ist;
- dass diese Ebene jenseits der rationalen ,,Denkinhalte" liegt und deshalb nicht durch Nachdenken erfahren werden kann;
- dass herausragende Leistungen durch die ,,Ganzheitserfahrung" dieser Ebene jenseits der rationalen Vorstellungswelt möglich werden;
Frei von der Eingrenzung des gewohnten rationalen Denkrahmens und dem Abgleich zur objektiven Realität sind wir offen für die innere Intuition und ihren gestaltenden Charakter.
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