Ziele und Konzepte einer ökologisch-ästheti­schen Umweltbildung (Teil 2)

Phänomene der Natur haben keinen Sinn an sich, sie sind. Erst unser Bewußtsein teilt den verschiedenen Naturphänomenen einen spezifi­schen Sinn zu.

 

Dabei projiziert dieses sowohl die rationale analytische Ordnung des Verstandes als auch die holistische Ordnung der sinnli­chen Wahrnehmung auf unsere Lebenswelt.

 

Alle Lebensformen bis hin zu ganzen Ökosystemen sind ansich wertfrei, unabhängig davon, welchen Wert ihnen der Mensch zuordnet.

 

Es ist die Logik der verschiedenen Arten sinnlicher Wahrnehmung, die den Menschen einen in allen Lebewesen und Din­gen innewohnenden Eigenwert zuerkennt.

Es scheint also sinnvoll, eine ökologisch-ästhetische Umweltbildung bei der Belebung der Sinne beginnen zu lassen. So steht am Anfang ein eher intuitives Verständnis des Menschen für die Lebenszusam­menhänge seiner Innen-, Mit- und Umwelt, das später rational „nach­gearbeitet“ wird.


Bildung zukunftsfähiger Wertvorstellungen

Wahrnehmung und Wertung

Phänomene der Natur haben keinen Sinn an sich, sie sind. Erst unser Bewußtsein teilt den verschiedenen Naturphänomenen einen spezifi­schen Sinn zu. Dabei projiziert dieses sowohl die rationale analytische Ordnung des Verstandes als auch die holistische Ordnung der sinnli­chen Wahrnehmung auf unsere Lebenswelt.

 

Das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Ordnungsebenen ist heute gestört, sicher eine Ursache für die globale Krise. Unsere Einstellun­gen, Wertvorstellungen und allgemein das postmaterialistische Welt­bild der Gegenwart sind Ausdruck der rational analytischen, geschlos­senen Ordnung unseres Verstandes und beeinflussen heute einseitig unsere Beziehung zu unserer Lebenswelt. Es fehlt das Wirken der of­fenen holistischen Ordnung sinnlicher Wahrnehmung. Dieses kann hier ein Gegengewicht bilden, das den Menschen mit seiner Lebenswelt ins Gleichgewicht bringt.

 

Unsere subjektiven Wertempfindungen und Wertzuschreibungen, also auch unsere ästhetischen Urteile, basieren auf entsprechenden Musterbildungsprozessen des neuronalen Netzwerks des Gehirns. Auf der Ebene des Kortex reagieren wir auf Muster der sinnlichen Wahrnehmung durch Muster kohärenter Erregung (Kausalität zwischen Stimulation und Simulation).

 

Wenn wir eine andere, eine ganzheitliche Beziehung zur Natur anstre­ben, läuft dies über die Wertungsdimension der Sinne. Dem steht die Überreizung und Erschöpfung des Sinne des Städters gegenüber, die zu einer schrittweisen Verarmung des Außenwahrnehmung wie auch des Wertungspotentials führen.

 

Es scheint also sinnvoll, eine ökologisch-ästhetische Umweltbildung bei der Belebung der Sinne beginnen zu lassen. So steht am Anfang ein eher intuitives Verständnis des Menschen für die Lebenszusam­menhänge seiner Innen-, Mit- und Umwelt, das später rational „nach­gearbeitet“ wird. Einseitige Denk- und Handlungsmuster der Verstan­deslogik, Dissonanzen durch Verkopfung des Menschen werden durch eine Schulung der Wahrnehmung mit allen Sinnen ausbalanciert. Der Gestaltung von Wahrnehmungs- und Erfahrungsräumen kommt hier­bei besondere Bedeutung zu. Diese können als künstlerische Architek­tur und Gärten der Sinne zu Brücken zwischen Mensch und Umwelt werden.

 

Kreativität

Die Schulung der Kreativität ist ein wichtiger Aspekt einer zukünfti­gen ökologisch-ästhetischen Umweltbildung, Kreativität als Ausbruch aus den gewohnten Denkbahnen. Freiheit zu neuem Denken ist nicht in den ausgearbeiteten Denkgebäuden zu finden, sondern dort, wo sie sich scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen. In diesem Zwischen­raum entstehen die neuen Konzepte, dort, wo Gegensätze sich begeg­nen, ohne sich gegenseitig zu verdrängen bzw. zu zerstören. Im aristo­telischen Sinne ist dieser Zwischenraum, diese Mitte zwischen Gegen­sätzlichem eine Hochform.

 

In M. C. Eschers Bild Belvedere (Abb. 4) stehen zwei Welten senk­recht aufeinander, zwei voneinander unabhängige Sichtweisen symbo­lisierend. Sie schließen sich gegenseitig aus, sind durch Säulen paradox miteinander verknüpft. Die Personen auf den jeweiligen Ebe­nen sind in ihrem spezifischen Blickwinkel gefangen, nur der Narr auf der Leiter, an der Grenze beider Lebenswelten, blickt frei in alle Rich­tungen.

 

M. C. Escher; Belvedere, Mai 1958
M. C. Escher; Belvedere, Mai 1958

Abb. 4: M. C. Escher; Belvedere, Mai 1958;

Lithographie, 462 x 295; Haags Gemeentemuseum

 

Der Schlüssel für seine kreative Freiheit wird über den Narren auf der Bank neben der Eingangstreppe dargestellt. Der paradoxe Würfel in seiner Hand weist auf das kreative Potential in diesem Zwischenraum zwischen den Welten hin.

 

Derjenige, der sich schwindelfrei auf der paradoxen Phasengrenze zwischen den Lebenswelten aufhalten kann, ist frei, frei für neue „Zu­künfte“. Es geht darum, die nächste Generation von überkommenen Normen zu befreien. Trotzdem muß diese Generation die fachliche Kompetenz haben, die zugrunde liegende Problematik an sich zu ver­stehen. Dann ist sie fähig, aus der Freiheit der paradoxen Grenzberei­che die Zukunftsszenarien zu entdecken, die grundsätzlich genug sind, um die Gegenwartsprobleme nachhaltig zu lösen.

 

Schluß

Diese Betrachtung soll mit dem Optimismus enden, daß wir, nicht zu­letzt mit einer ökologisch-ästhetischen Umweltbildung das Fundament legen, die kommende Generation zu umfassendem ökologischem Den­ken, Fühlen und Handeln zu befähigen.

 

Ein Schritt in diese Richtung ist das sich zunehmend ausbreitendes neues Naturverständnis:

  • Natur wird zum erhaltenswerten Lebensraum des Menschen
  • der Mensch selbst fühlt sich bewußt als Teil der Natur,
  • er ist mit der Umgebung in einem vielfältigen Empfindungs- und Erfahrungszusammenhang verknüpft.

Alle Lebensformen bis hin zu ganzen Ökosystemen haben einen Wert in und aus sich heraus, unabhängig davon, welchen Wert ihnen der Mensch zuordnet. Es ist die Logik der verschiedenen Arten sinnlicher Wahrnehmung, die den Menschen diesen in allen Lebewesen und Din­gen innewohnenden Eigenwert erkennen läßt.

 

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Auszug aus:

Kongressdokumentation „Wiesen und Weiden - ein gefährdetes Kulturerbe Europas“ Kunst- und Ausstellungshalle der BRD, Bonn vom 6. - 8. Juni 1996) 1997, Seite 263 ff

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